Sonntag, 12. September 2010

Voll auf RISIKO: Laufzeitenverlängerung

Am Salzstock Gorleben in Niedersachsen sollen künftig doch wieder Enteignungen möglich sein. Die schwarz-gelbe Bundesregierung will Enteignungsvorschriften in das neue Atomgesetz aufnehmen. Hintergrund ist, dass der Salzstock wieder auf seine Eignung als Atom-Endlager untersucht werden soll. Nach Angaben des Bundesumweltministeriums ist es nach momentaner Rechtslage so, dass ein einziger Grundstücksbesitzer diese Erkundung erheblich behindern könnte, wenn er sich den Untersuchungen verweigert. Die damalige rot-grüne Bundesregierung hatte die Möglichkeit zu Enteignungen 2002 aus dem Gesetz gestrichen. In Gorleben haben viele Grundstückseigentümer sogenannte Nutzungsrechte für den unterirdischen Salzstock eintragen lassen. Die Regierung ist auf ihre Kooperation angewiesen, wenn sie untersuchen lassen will, ob sich das Gelände zur Endlagerung von Atommüll eignet.(WDR5)

Samstag, 15. Mai 2010

Trafen sich zwei Teilchen
nicht in Genf sondern Heidelberg
Wie gut, wenn man fotografierende Schüler hat. Vor über 30 Jahren fotografierte Thilo Karl meine Experimente: Wasserstoff- und Heliumteilchen werden in einem Beschleuniger extrem beschleunigt und in eine Eisenprobe geschossen, um zu sehen, was passiert. Würde man sich heute statt des Eisens ein gefrorenes Wasserstoffplättchen vorstellen, hätte man das CERN-Experiment in Miniatur-Form.

Met two particles
not in Geneva but Heidelberg
Good, to have photographing students. More than 30 years ago Karl Thilo was photographing my experiments: hydrogen and helium particles are accelerated extremely in an accelerator , shot into iron to see what happens. If one were to imagine today, instead of iron plates a frozen hydrogen, one would have the CERN experiment in miniature forms.




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the cryostat ( 7 ) is flanged to the white hole of picure 2

Donnerstag, 8. April 2010

Odenwaldschule I

Familienoberhaupt: ein Jahr in der Odenwaldschule




Photobucket

Frage: Sie waren vor einigen Jahren Lehrer an der Odenwaldschule. Haben Sie nichts von den Missbrauchsvorwürfen aus dem Jahr 1999 gehört?

Antwort: Das fragen mich jetzt viele Bekannte und Freunde, die wissen, dass ich dort gearbeitet habe. Nein, aber ich hatte immer so ein komisches Gefühl, das ich mir nicht erklären konnte. Das war so eine aufgeladene Atmosphäre. Im nachhinein kann ich einiges jetzt etwas besser einordnen. Ich hatte mal so ein Gegrummel und Gerüchte über den ehemaligen Schulleiter Becker gehört. Aber das kam – so glaubte ich damals - eher von Seiten der Schülerinnen und Schüler. Der Begriff „Sexueller Missbrauch“, das war für sie oft so eine Art Totschlagargument, es wurde manchmal so leicht daher gesagt – so mein Eindruck. Im Lehrerkollegium war das kein Thema. Es gab täglich Gerüchte. Es wurden Wetten abgeschlossen, wie schnell sich ein Gerücht in der OSO verbreitet. Aber wenn viel erzählt wird, weiß man nicht mehr, was tatsächlich passiert ist. Das, was ich heute weiß, hätte ich damals für absolut undenkbar gehalten.


Frage: Sie haben selbst Ihre Erfahrungen mit solchen Vorwürfen gemacht?


Antwort: Ja, da waren in meiner Wohngruppe, man nannte das Familie, Vorwürfe von zwei Mädchen, denen ich Stubenarrest verpasst hatte, weil sie nachts zuvor mit einer Bohrmaschine beim Bilderaufhängen beinahe eine Hauptstromleitung angebohrt hatten. Ich habe das nicht auf mir sitzen lassen, sondern blitzartig meine Anwältin angerufen. Sie hat der Schulleitung per Fax eine Unterlassungsklage angedroht, falls der Vorwurf nicht sofort zurück genommen würde. Die beiden Schülerinnen haben sich sofort auf Veranlassung des Schulleiters entschuldigt. Der Schulleiter empfand meine Vorgehensweise irgendwie zu rigoros.

Frage: Wie sind Sie mit den Familienstrukturen der Schule zurechtgekommen?


Antwort.: Ich bin ein Mensch, der Distanz braucht. Ich muss mich zurückziehen können. Deshalb war ich froh, in einem anderen Stockwerk zu wohnen als die SchülerInnen. Anfangs dachte ich, Schülerinnen und Schüler bekommen zu haben, die die anderen Familien nicht wollten. Gleich zu Beginn des Schuljahres fuhren wir - die Kinder, eine Kollegin und ich – zum Kennenlernen in die sogenannte “Wanderwoche“, in ein Ferienhaus. Dabei haben wir zusammen gekocht und eingekauft, wanderten etc.. Das werde ich nie vergessen, die wollten alle nur dieses Knabbertütenzeug.



Ich war in der Schule immer sehr eingespannt und schlief nur wenige Stunden. Man musste immer präsent sein, Wecken, gemeinsames Frühstück, Mittag- und Abendessen, Schulaufgaben beaufsichtigen, abends Gespräche mit den Kindern, tägliche Konferenzen. Und nachts habe ich mich, weil ich 30 Jahre in der Industrie gearbeitet hatte, mit großem Kraftaufwand auf den Unterricht vorbereitet. Logischerweise hatte ich erhebliche Startschwierigkeiten. Aber ein lieber Kollege unterstützte mich. Man ist so beschäftigt, man kommt kaum zu sich selbst. Manchmal frage ich mich, wann denn der Becker diese Taten begangen hat. Man war doch nie wirklich – außer im Schlaf - allein. Die Türen der SchülerInnenzimmer wurden damals nicht abgeschlossen. Man musste vor Eintritt immer anklopfen. Vor allem die Mädchen wollten oft Möglichkeiten des Rückzugs und sagten „.... ich will endlich nur ein paar Stunden alleine sein!!“. Die kamen ja gerade aus Verhältnissen, wo es keine eigenen Zimmer für sie gab.

Frage: das ist doch ein Fulltimejob, Lehrer, Erzieher, Haushaltsvorstand in einer Person?

Antwort: Ich war für die gesamten Aufgaben einfach nicht genug ausgebildet. Ich habe später erfahren, dass vor mir drei deutlich jüngere Bewerber abgesagt hatten. Das war für sie also kein Traumjob. Damals kamen etwa 60 Prozent der Kinder und Jugendlichen über das Jugendamt in die OSO. Da waren schwierige Fälle dabei, da gab es Drogen- und Alkohol- und schwere psychische Probleme. Das waren teilweise erschütternde Schicksale. Die zuständigen Sozialarbeiter kamen regelmäßig alle drei Monate vorbei, außerdem gab es zur Unterstützung externe Therapeuten. Trotzdem war man verantwortlich – erziehungsberechtigt - , auch dann, wenn die Schutzbefohlenen nach Heppenheim gingen und z.b. auch mal klauten. Dann rief die Polizei an. Ich hatte die Komplexität der Aufgabe anfangs total unterschätzt. Ich habe immer versucht, mich auf die Seite der Kinder zu stellen, aber das war manchmal schwer. Oft habe ich nachts stundenlang mit den Eltern telefoniert. Es gab zur Drogenkontrolle Screeningtests. Da wurden Kinder unangekündigt plötzlich mit einem Bus zur Heppenheimer Klinik gefahren. Wer ein zweites Mal positiv getestet wurde, flog raus.

Frage: Haben Sie etwas von Elite-Internat bemerkt?


Antwort: Wenig, manchmal erfuhr ich, dass ein Vater Botschafter war oder spürte, dass die Familie Geld haben musste. Die Odenwaldschule empfand ich zu keinem Zeitpunkt als linkes Projekt, die Eltern waren eher konservativ. Auf mich hat das alles eher den Eindruck einer weltlichen Walldorfschule gemacht. Es war da eine große Bescheidenheit, es gab keine auffallend modische Kleidung. Aber manchmal kam es mir vor, als fehle etwas der Kontakt zur realen Welt. Einige Kinder, wie der heutige Schulsprecher, sind, soweit ich weiß, schon in der Odenwaldschule geboren und haben – außer in den Ferien - kaum eine andere Wirklichkeit gesehen. Ich hatte immer das Gefühl einer für alle starken Kontrolle, damit ja nichts Schlimmes passieren kann, sogar beim Karneval. Alles wirkte irgendwie so eingetütet. In der Schülerzeitung schrieben die Schüler damals nur, was der Schulleiter genehmigt hatte.


Frage: hätten die Schüler denn eine Chance gehabt, sich gegen Missbrauch zu wehren?


Antwort: Die Odenwaldschule hatte schon bei meinem Eintritt einen Rechts- und Vertrauensausschuss, in dem SchülerInnen und Vertrauenslehrer waren. Hierhin hätten sich die SchülerInnen im Missbrauchsfalle wenden können. Was mir nach und nach immer deutlicher auffiel, war, dass ich noch nie einen Schulleiter gesehen hatte, der so viel Macht hatte wie an der Odenwaldschule. Ich habe ihn als sehr autoritären Menschen empfunden. Er hatte die Macht qua Institution seines Amtes. Das ganz Demokratische, das ich aufgrund dessen, was so in den Medien über die OSO geschrieben und berichtet wurde, erwartet hatte, habe ich so nicht erlebt.. Ich war vielleicht auch etwas naiv. Am Anfang bekam man einen dicken Reader, Verhaltens- und Schulregeln. Das konnte kein Mensch alles lesen. Aber es gab für die Neulehrer Supervision und einen Kollegen, mit dem man in den ersten Wochen auftretende Probleme besprechen konnte. Es gab auch Schüler, die mir Zuträger der Schulleitung zu sein schienen. Oder die von sich aus darauf achteten, dass nichts aus der Schule nach außen drang. Vielleicht hatten sie das Gefühl, dass das dann auch auf sie und "ihre" Schul-Familie zurückfallen könnte. Die 32 Familien waren meiner Auffassung nach in sich ziemlich abgeschlossene Gruppen, es gab wenig Austausch. Ab und zu besuchten sich am Wochenende die Kinder gegenseitig. Die Schüler hatten allerdings oft selbst das Bedürfnis, ihre Familie abzuschirmen. Jede Woche wurden in sog. Fallsupervisionen besondere Problemfälle durchgesprochen. Es gab auch soziale Verträge, die Sanktionen regelten, allerdings nur für die Schüler: Müll im Wald einsammeln, den Tisch decken. Manchmal hatte ich den Eindruck, es gäbe auch Intrigen, die ich aber nicht durchschauen würde.

Frage: Wie sind Sie mit der abgelegenen Lage der Schule zurecht gekommen?


Antwort: Ich habe nach ein paar Monaten aus purer Opposition wieder mit dem Rauchen angefangen. Da kam man wenigstens mal weg, abends an die Tankstelle, Zigaretten kaufen und auf dem Heimweg rauchen. Der damalige Schulleiter hat das Rauchen besonders verfolgt. Der ist den Kindern, wenn er nur einen Hauch von Rauch in der Nase hatte, nachts noch im Wald hinterhergestiegen, um sie zu fangen. Das war so extrem, ich habe das nicht verstanden, das war teilweise gespenstisch. Mir schien, dieser Kampf sollte eine Leere füllen. Es fehlte etwas wirklich Sinnstiftendes, eine Vision. Manche haben, ein paar Wochen, nachdem sie ankamen, gesagt, es sei alles so langweilig, kein Autoverkehr, nicht mal ein Unfall. Ich spürte da so einen Freiheitsdrang. Vielleicht haben wir uns deshalb im ganzen in unserer Familie gut verstanden, weil wir alle oft einen zu großen Freiheitsdrang spürten.. In der Summe glaube ich, dass die Odenwaldschule für viele Kinder besser ist als die staatlichen Schulen. Kein Fernsehen, keine Ablenkung, feste Strukturen. Familie bedeutete auch Regeln. Das alleine hat durch die Konstanz einen beobachtbaren positiven therapeutischen Effekt.. In ihren richtigen Familien hatten manche noch nie regelmäßig zusammen mit ihren Eltern gegessen. Man konnte die Neulinge in der OSO oft schon am Gang erkennen, die zappelten anfangs immer ein wenig herum. Und man konnte zu sehen, wie die durch die Abwesenheit von Medien und Verkehr nach und nach ruhiger wurden. In dem einen Jahr habe ich keine Schlägerei unter Schülerinnen und Schülern gesehen. Die Schüler lernen, besser als in staatlichen Schulen, sich zu artikulieren, sprachfähig zu werden. Viele kamen mir sehr erwachsen vor.

Fragen: wie empfinden Sie die Debatte um die Reformpädagogik?


Antwort: Von der Reformpädagogik als strengem Fahrplan habe ich nicht viel bemerkt, aber vielleicht war es das ja gerade. Ich glaube auch, dass das gesamte Leben dort nicht so komplett mit reformpädagogischem Inhalt angefüllt ist, wie ich es in den letzten Wochen in der Presse lesen konnte. Einmal saß ich in der Küche auf einem Holzstuhl und wurde gefragt, ob ich nicht wisse, dass dort immer der Paul Geheeb gesessen habe? Nein, ich hatte keine Ahnung und fand, das hatte plötzlich so etwas Bedeutungsschweres, das fand ich merkwürdig. Manchmal dachte ich, das Reformpädagogische durchströmt mich allein durch sitzen auf dem historischen Stuhl! Ich glaube, in den letzten Wochen da schreiben Leute in den Zeitungen nur über Geschriebenes. Die haben vom Alltag in der Schule keine Ahnung. Einige scheinen nur das Ziel zu haben, mit der Diskussion über die sexuelle Gewalt an der OSO die gesamte Reformpädagogik platt zu machen. Es geht aber doch nicht um die Schule, sondern um die Kinder. Die Odenwaldschule war für mich ein sehr komplexes Gebilde. Es gab damals schon gute Ansätze zur Veränderung, zum Beispiel bei Schulentwicklungsseminaren kamen sehr viele gute Ideen. Aber Umsetzen dieser Ideen bei einer so komplexen Schule nimmt Kraft und Zeit in Anspruch..

Es gab viele, viele langsame Abstimmungsprozesse.

Zur aktuellen Situation: Bei jedem Fußballverein wäre der Vorstand sofort nach ähnlich gravierenden Fällen zurückgetreten. Aber die Odenwaldschule ist eben kein Fußballverein und hat auch keine/n professionellen Pressesprecher/in, kann sie sich auch nicht leisten. Und die Entscheidungsprozesse sind langsam, der Komplexität der Schule entsprechend. Inzwischen ist ja der Vorstand endlich mehrheitlich zurück getreten.

Um wirklich überzeugende Vorschläge zu machen, war ich einfach zu kurz in der Schule. Vielleicht sollte man zur Entlastung der Lehrerinnen und Lehrer Familien- und Lehrerdasein trennen. Trotz allem ich möchte die Zeit, die ich dort war, nicht missen. Und ich will einfach glauben, dass der Missbrauch zu meiner Zeit schon nicht mehr existiert hat. Ich fände es gut, wenn solche Straftaten nicht verjähren würden.

Dienstag, 23. Februar 2010

Margot Käßmann - Ich stehe zu ihr !!!!



Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.(Römer 2,1)

UndineGrueter -> Das Buch der Unruhe 01

Auf offener Straße


Oft lag ich auf der Matratze und blickte durch das schräge Fenster in den grauen Himmel. Ich hauste in einem engen Verschlag unter dem Dach. Die Laken, flek-kig, grau und zerknüllt, stanken nach Schweiß und verklebtem Staub. Es war der Geruch einer Lähmung, der sich langsam in die Lungen fraß. Von Tag zu Tag wuchs der Ekel. Doch die Laken in die Wäscherei zu geben, dazu konnte ich mich nicht aufraffen. Dahintreibend mit Tagträumen, die eine so trübe und schlammige Farbe annahmen wie das Licht, wenn es durch das verkrustete Bodenfenster auf die mit Packpapier beklebten Wände sickerte, fiel ich immer wieder in Schlaf, aus dem ich erwachte, träge und steif, mit einer auf der Brust wie ein Klumpen hockenden Dumpfheit.
Lange Zeit wiederholte sich ein Traum, daß mir die Haare in Büscheln vom Kopf fallen, ein eiskalter Wind erhebt sich von fern und treibt sie wie trockene Blätter vor sich her, und in dem Sturm geht mein kahler Schädel. Nachts drang vom tiefer gelegenen Stockwerk das lüsterne Keuchen der Mieterin unter mir herauf. Die Wände, die Luft waren erfüllt vom Röcheln, vom Husten, von den Schreien der Frau.
Stundenlang hockte ich auf dem Boden und sah durch das niedrige Fenster auf das nächtliche Schienennetz, auf die einsamen roten Signale, die weiten Lagerhallen, die ferne Eisenbahnbrücke, deren Träger und Bögen von der Witterung angefressen waren; ich sah über dem Fluß die braunen Güterzüge rangieren in der Morgendämmerung.

Das Packpapier löste sich langsam von den Wänden. Doch ich blieb hier wohnen, denn mir fehlte eine feste Geldquelle. Im übrigen kam ich auch zu Zeiten, wenn ich flüssiger war, nicht auf den Gedanken, in eine hellere und luftigere Wohnung umzuziehen. Es war die Anstrengung des Umzugs, die mich abschreckte, wie jede Unternehmung in der Außenwelt mich störte. Auch hielt das Zimmer, so wie es war, mir lästige Besucher vom Leib. Niemand wäre je auf die Idee gekommen, mich in diesem undichten Loch, das im Sommer stickig und drückend war und im Winter verräuchert und zugig, zu besuchen oder gar sich über Nacht dort einzuquartieren. In gewisser Weise gefiel mir der Zustand. Es war, als verkröche ich mich in einen Ausguß wie ein Tarnung suchendes Insekt, und der Ekel der anderen vor diesem Ort schützte mich.
Ich besaß einen ledernen Paravent für das Waschbek-ken, an dem ich mich wusch, einen großen Tisch, eine Messinglampe mit grünem Schirm, zwei tiefe bequeme Sessel und einen zerfledderten Stich von der Place des Vosges aus einer Zeit, als in der Mitte des Platzes noch keine Bäume gepflanzt waren rund um das Standbild Ludwig XIII. Ein geometrischer Liebeshof, in dem die schöne Marion Delorme unter den Arkaden geht. Die Sessel gingen zwar aus dem Leim, aber ich lag ohnehin immer auf der Matratze.
Es ging lebhaft zu dort oben. Die anderen Mieter aus den unzähligen Käfigwohnungen dieses Steinkastens hatten auf dem angrenzenden Speicher kleine Verschlage zugeteilt bekommen, und manchmal, wenn sie ein Vorhängeschloß öffneten, um in ihren Habseligkeiten zu wühlen, entdeckten sie in den Ecken brütende Vögel, die durch die Dachritzen hereingekrochen waren.
Heruntergekommenes Mietshaus aus der Gründerzeit mit Holztreppen und Klos auf dem Zwischenstock Und merkwürdigen Leuten wie dem Dicken, der mit umwik-kelten, in Gummistrümpfen steckenden Wasserbeinen herumlief, im Parterre wohnte und schwarz arbeitete für ein Bestattungsunternehmen. Das heißt, er sargte die Toten ein. Manchmal mußte er auf die Autobahn, um die zerstückelten Teile der Opfer aufzusammeln. Einmal, sagte er, lag eine Hand abgetrennt quer über der Fahrbahn, und der Polizist mußte kotzen.
Der Dicke war der einzige Mensch, mit dem ich täglich sprach. Immer hing er im offenen Fenster zur Straße, billige Fehlfarben rauchend, und ich höre sein asthmatisches Krächzen, es jibt Fliejen, Fliejen, wenn das Wetter schwül wurde. Ein trauriger Fettkloß mit dem schleichenden Tod in den Venen. Die schwerfällige Art, mit der er sich über die Straße schob, widersprach auf lächerliche Weise seinem unablässigen Redebedürfnis. Zu jeder Tages- und Nachtzeit sprach er mich an, ob ich das Haus verließ oder betrat.
Kein Gespräch zwischen uns ging ab ohne dreckigen Witz. Dann blinzelte er seiner Frau zu, die meistens mit fehlendem Gebiß in der stickigen Wohnung herumlag.
.....

UndineGrueter -> Der Autor als Souffleur 01

Die Familie steckt uns allen wie eine Kugel im Kopf. Doch
sind es weniger die katastrophalen Brüche, mit denen wir
auseinandergehen, die uns zusetzen, als das erbärmliche
Gespinst von Intrigen, das uns tagtäglich einfängt, und
die unendliche Anstrengung der Feinfühligkeitsstrategien,
weswegen wir uns gelähmt, versklavt, unter dem Bann eines
Fluchs finden. Stärkstes Druckmittel gegen den, der ausschert:
die Moral wird ins Spiel gebracht gegen die Freiheit.
Die wenigsten schaffen es, mit dem Gefühl, ein Schuft
zu sein, zu leben, das verhindert die von Kindheit infiltrierte
Anfälligkeit für Sentimentalität und seelische Erpressbarkeit.
Familie zeichnet sich durch die Unfähigkeit zur Reflexion
und Analyse ihrer eigenen Motivationen aus.

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Ein großes Werk sucht sich als Nährboden den Kopf eines Besessenen. Zum Wesen der Obsession gehört die Einsamkeit. Jahrelang in seinem Innern einen Gedanken mit sich herumtragen - das schafft die nötigen giftigen Ingredienzien.

Ein Künstler muss vom Detail ausgehen: ein Stück Stroh,
ein Geruch, ein halbgesprochener, hingeworfener Satz -
erst darin formt sich das Weitere, spinnt sich in einer halb
bewussten Suche. Niemals genau wissen, festlegen, was er
will. Die Ideen, das Gerüst - das liegt auf einer anderen
Ebene.

Sonntag, 17. Januar 2010













Demagogie mit Bildern. Unterstes Bild aus der SZ von David Klammer/liaf!! Die anderen von dr.friedrich schreyer